Den eXit wagen! – X verlassen (LDK-Antrag)
Twitter ist scheiße. Ein riesiger Haufen rassistischer, homophober, Verschwörungserzählungen-verbreitender Haufen Scheiße. So weit, so bekannt.
Jetzt ist es auch so, dass ich gerne in Organisationen bin, die das ähnlich vertreten. Seit letztem Jahr bin ich Mitglied von BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN, die noch einen X-Account besitzen. Diesen Samstag ist, auch in Vorbereitung auf die vorgezogene Bundestagswahl, Landesdelegiertenkonferenz, bei der neben den Kandidierenden für die Bundestagswahl auch einige kleinere programmatische Ausrichtungen vorgenommen werden.
Da nutze ich doch die Gunst der Stunde, um mal – ganz basisdemokratisch – einen Antrag dazu einzubringen.
Der Antrag
Der Landesvorstand BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Thüringen wird beauftragt, den X-Account @Gruene_TH zu löschen.
Als politische Partei ist der Austausch mit potentiellen Wähler*innen wichtig. Die Kommunikation mit Nicht-Mitgliedern erfolgt dabei fast ausschließlich über social media. Der Facebook-Account BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Thüringen hat fast 3.000 Follower, der Instagram-Account fast 4.500-Follower, der X-Account knapp 6.000 Follower.
Den eXit wagen!
Seit der Übernahme von X durch Elon Musk und spätestens seit der US-Präsidentschaftswahl 2024 ist jedoch klar, dass auf X kein konstruktiver gesunder politischer Austausch mehr stattfinden kann. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass Robert Habeck seinen X-Account reaktiviert hat, wurde der Sinn von X im Wahlkampf intensiv diskutiert [1-5]. Grundlegende Punkte, die gegen X sprechen:
- Die Reichweite von Beiträgen hängt nicht von Followerzahlen ab, sondern wird durch einen intransparenten Algorithmus bestimmt. Dieser kann jederzeit ohne Angabe von Gründen oder nicht-offensichtlich geändert werden.
- Insbesondere hat Elon Musk bereits im US-Wahlkampf den Algorithmus Pro-Republikaner und Anti-Demokraten eingestellt und so aktiv in die Wahl eingegriffen. [6] Er bezeichnete Bundeskanzler Scholz und Vize-Kanzler Habeck bereits als Narren („fools“) [7], wodurch eine neutrale Einstellung gegenüber den Kandidaten und Parteien fraglich erscheint.
- Desinformationen und Hetze verbreiten sich auf X schneller als Fakten und ruhiger Diskurs. Auf dieser Basis können keine neuen Wähler*innen gewonnen werden oder programmatische Werbung gemacht werden.
- Beiträge und Diskussionen auf X sind nicht öffentlich und nur mit X-Account sichtbar. Die Reichweite beschränkt sich dadurch auf eine bestehende, schrumpfende Nutzerbasis.
Nicht zuletzt verstößt X und das Verhalten von Elon Musk mit seiner Verbreitung antisemitischer, rassistischer und transphober Verschwörungserzählungen gegen den antidiskriminatorischen Grundsatz unserer Satzung [8].
Alternativen nutzen!
Es ist wichtig, alternative Plattformen für die Kurznachrichten-Kommunikation, die Twitter/X übernahm, zu nutzen. Die beiden aussichtsreichsten Plattformen hierfür sind Mastodon und Bluesky.
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Mastodon ist eine Plattform, die ohne Kraft der Algorithmen auf organische Reichweite setzt. Das Publikum ist vor allem tech-affin, tendenziell links eingestellt und offen für grüne Ideen. Bisher gibt es keinen aktiven Account eines Grünen-Landesverbands, aber mehrere Thüringer Lokalpolitiker und Kreisverbände betreiben dort Accounts. Durch die dezentrale Struktur Mastodons ist eine Übernahme des Netzwerks durch rechte Akteure nur schwierig möglich.
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Bluesky andererseits ist eine Plattform, die dem früheren Twitter ähnlicher ist. Nach dem US-Wahlkampf haben sich viele Journalisten und politische Akteure dort ein neues Zuhause gesucht und gefunden. Dort gibt es bereits einige aktive Profile grüner Landesverbände, Thüringer Kreisverbände und Thüringer Lokal- und ehemals Landespolitiker*innen.
Für den Bundestagswahlkampf 2025 und die politische Arbeit darüber hinaus ist es wichtig, weiterhin sichtbar zu sein. Der Thüringer Landesvorstand wird deshalb dazu ermutigt, einen offiziellen Account auf mindestens einer (bevorzugt beiden) der genannten Plattformen einzurichten und aktiv zu nutzen. Der Landesverband unterhält bereits einen Bluesky-Account unter gruenethueringen.bsky.social, bespielt ihn jedoch bisher nur unregelmäßig.
Quellen
[1] https://netzpolitik.org/2024/lehren-aus-dem-us-wahlkampf-soziale-medien-gehoeren-nicht-in-die-hand-von-milliardaeren-und-konzernen/ [2] https://www.rnd.de/digital/habeck-zurueck-auf-x-keine-chance-die-spielregeln-bestimmt-nur-einer-AZP4FVIBS5B7BM4IFSFE2WEZN4.html [3] https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/social-media-ein-wahlkampf-auf-x-ist-ein-albtraum-kolumne-a-82150a79-95d0-478e-ad9b-28688c74ff08 [4] https://www.zeit.de/politik/2024-11/robert-habeck-x-wahlkampf-gruene-soziale-medien-neuwahlen [5] https://uebermedien.de/99971/wie-laesst-sich-der-politische-diskurs-auf-sozialen-plattformen-retten/ [6] Graham, Timothy, und Mark Andrejevic. 2024. „A Computational Analysis of Potential Algorithmic Bias on Platform X during the 2024 US Election“. Working Paper. https://eprints.qut.edu.au/253211/. [7] https://www.fr.de/politik/zuerst-scholz-jetzt-habeck-musk-beleidigt-ampel-spitze-auf-93403780.html [8] „Wer rassistische, antisemitische oder kriegsverherrlichende Auffassungen vertritt oder gegen die Gleichberechtigung von Frau und Mann sowie der Altersgruppen auftritt, hat keinen Platz in BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Thüringen.“ Satzung des Landesverbandes BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Thüringen. Beschlossen am 25.11.2016. Zuletzt geändert durch die Landesdelegiertenkonferenz vom 02. bis 04. Februar 2024 in Jena.
Meine Rede zur LDK
Leider schaffe ich es nicht, den Antrag persönlich vorzustellen. Doch glücklicherweise hat sich Julia Burkhardt, ihres Zeichens Sprecherin der Landesarbeitsgruppe Digitales & Medien, bereit erklärt, meinen Antrag vorzutragen. Dazu im Folgenden „meine“ Rede (mit viel Input von Julia) dazu.
Liebe Freund*innen,
stellt euch vor, ihr öffnet morgens am Küchentisch euer Smartphone und das Erste, was ihr seht, ist eine Flut von rechter Hetze, Falschinformationen und rassistischen Äußerungen. Für viele Menschen ist das nicht nur Vorstellung, sondern bittere Realität auf der Plattform X, ehemals bekannt als Twitter. Und wir müssen uns fragen: Wie viel Hass und Desinformation wollen wir noch aushalten?
Wir von Bündnis 90/Die Grünen stehen für eine offene, tolerante und auf Fakten setzende basierende Gesellschaft. Diese Werte bilden den Grundkonsens der Thüringer Grünen. Doch was wir auf X beobachten, steht in krassem Gegensatz zu diesen Werten. Diese Plattform ist zu einem Nährboden für Extremismus, Rassismus und Verschwörungserzählungen geworden.
Lasst mich drei zentrale Punkte hervorheben, warum wir heute für die Löschung unseres X-Accounts abstimmen sollten:
Erstens: X ist zu einer Plattform für Desinformation und Hassrede verkommen. Falschinformationen verbreiten sich auf X sechsmal schneller als wahre Nachrichten. Hate Speech, Rassismus und Klimakrisenleugnung finden hier einen fruchtbaren Boden. Dabei erhöhen wir aber schon durch unseren Account die Glaubwürdigkeit der Plattform, nach dem Motto: „Wenn selbst die Grünen noch da sind, kann es so schlimm nicht sein!“. Das können und dürfen wir nicht länger hinnehmen.
Zweitens: Die Funktionsweise von X hat negative Auswirkungen auf unsere Gesellschaft. Der Algorithmus, der darüber entscheidet, welcher Beitrag viral geht, ist eine black box ohne jede öffentliche Kontrolle. Dieser Algorithmus verursacht aber großen Schaden, indem er diejenigen Beiträge gezielt verstärkt, die starke negative Emotionen hervorrufen, wie Hass, Lügen und Beleidigung. Das untergräbt den gesellschaftlichen Zusammenhalt und gefährdet unsere Demokratie.
Gleichzeitig hat spätestens der US-Wahlkampf gezeigt, dass Elon Musk die Algorithmen der Plattform jederzeit so ändern kann, dass die Reichweite von Accounts, die nicht in sein rassistisches und rechtsextremes Weltbild passen, gedrosselt wird. Zugleich werden die Botschaften rechter Hetzer gezielt verstärkt, mit uns Grünen als Feindbild Nummer Eins. Wieso sollte er nicht mit einem Knopfdruck die Reichweite aller Accounts mit „Grün“ im Namen während des Bundestagswahlkampfes drosseln? Ähnliches ist dort bereits während des US-Wahlkampfes geschehen und wir würden es nicht einmal mitkriegen.
Drittens: Es gibt Alternativen. Andere Plattformen wie Mastodon oder BlueSky zeigen, dass soziale Netzwerke auch verantwortungsvoll und mit Respekt für die Nutzer*innen betrieben werden können. Wir müssen nicht auf einer Plattform bleiben, die unsere Werte mit Füßen tritt. An dieser Stelle möchte ich den Kreisverband Greiz als positives Beispiel in Thüringen nennen, der auf BlueSky und Mastodon bereits interaktiv erfolgreich kommuniziert.
Natürlich kann man argumentieren, dass wir uns mit der Löschung einfach aus dem Diskurs entfernen und uns ihm nicht stellen. Dass wir unsere Komfortzone nicht verlassen und stattdessen die Plattform den Hetzern und Spaltern überlassen. Aber die rechtspopulistischen, verschwörungserzählenden und menschenverachtenden X-Accounts brauchen, dass es auf der Plattform auch noch anderes gibt als ihren ätzenden Content – Nutzer*innen, die wie wir Demokratie, Vielfalt und Respekt leben, an denen sie sich abarbeiten können. Es ist unsere Verantwortung als Partei, diesen Spaltern den Boden zu entziehen. Es ist nicht unsere Aufgabe, eine Zielscheibe zu sein. Es ist auch nicht unsere Aufgabe, durch unsere Anwesenheit dort dafür zu sorgen, dass diese Plattform sich finanzieren kann.
Viele von uns haben ihren X-Account bereits gelöscht. Nicht aus Resignation, sondern als klares Zeichen: ich toleriere keine Plattform, die sich durch Hass und Desinformation finanziert. Große Unternehmen, diverse Non-Profit-Organisationen und viele bekannte Persönlichkeiten haben ihre Entscheidung, X zu verlassen, ebenfalls öffentlich kommentiert.
Zum Schluss lasst mich Zahlen nennen:
Der Account der Grünen Thüringen hat in 2024 keine 100 eigene Beiträge gepostet, fast 60% davon im heißen Wahlkampfmonat August und während der LDK im Februar. Jenseits dieser Zeiten kommen wir auf durchschnittlich 4 Beiträge pro Monat, die mit nur wenigen Ausreißern um die 7 bis 8 Kommentare und Likes erreichten.
Ich frage euch: Ist das die vielbeschworene Öffentlichkeit, die von vielen als der zwingende Grund angegeben wird, auf X zu bleiben?
Wir schlagen vor: Konzentrieren wir uns auf echte Öffentlichkeitsarbeit auf einer Plattform, auf der wir auch Menschen erreichen - und nicht nur Bots. Auf der ernsthafter Diskurs miteinander möglich und gewollt ist.
Vielen Dank.
Grüne auf Mastodon
Mein Wunsch wäre es natürlich, wenn möglichst viele Leute auf Mastodon wären. 1) Ist das mein soziales Netzwerk, auf dem ich mich am meisten aufhalte (sogar exklusiv – Bluesky werde ich nicht nutzen) und 2) ist Stand jetzt nur Mastodon davor gewappnet, nicht von einem größenwahnsinnigen Rassisten übernommen zu werden. Dabei ist es schön, dass schon einige Grüne Mitglieder und KVs auf der Instanz gruene.social (aber natürlich auch woanders) vertreten sind! Hier eine Liste mit Folgeempfehlung, selbst wenn viele Accounts leider mittlerweile inaktiv sind.
Thüringer Grüne
Grüne Landesverbände
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